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Betrachtung zum Hungertuch

Was ist Ihr erster Eindruck? Viele schwarze Linien, teils schwungvoll, teils chaotisch verknäult. Wenig Farbe: weiß, schwarz, Gold…

Ein menschlicher Fuß ist dargestellt, ein verletzter Fuß. Die chilenische Künstlerin Lilian Moreno Sanchez zeichnet das Röntgenbild eines Fußes, der mehrfach gebrochen ist. Der Fuß gehört zu einem Menschen, der bei einer Demonstration in Santiago de Chile durch Polizisten schwer verwundet worden ist. Seit Oktober 2019 protestieren dort Menschen auf dem „Platz der Würde“ für gerechte Verhältnisse und werden dabei durch die Staatsgewalt brutal geschlagen und verhaftet. Und wir wissen: das passiert nicht nur in Chile, sondern leider an vielen Orten weltweit. So steht dieser Fuß stellvertretend für alle Menschen, die gebrochen und misshandelt werden. Gleichzeitig ist der Fuß aber auch ein Bild für die Würde des Menschen, für das Aufrecht-Stehen, für das Gehen und den Aufbruch und das Vorankommen. Es gibt viele Redensarten mit dem Wort Fuß: auf eigenen Füßen stehen – etwas hat Hand und Fuß – den Boden unter den Füßen verlieren – jemandem auf die Füße treten – einen großen Fußabdruck hinterlassen… vielleicht fallen Ihnen noch mehr ein. So steht der Fuß oft symbolisch für den ganzen Menschen.

In diesem Bild kann der verletzte Fuß auch stehen für das Leiden Jesu. Er wurde verraten, verhaftet, gefoltert, gekreuzigt. Mit seinem Schmerz und seinem Leiden ist er ganz nahe bei allen Menschen, die heute leiden. Aber so wie Jesu Geschichte nicht mit Leid und Tod endete, sondern durch die Liebe und die Kraft Gottes weiterging, weiterging mit Hoffnung und neuem Leben, so will uns auch dieses Hungertuch die Ahnung von Heilung und Leben vermitteln.

Die Künstlerin hat eine ungewöhnliche Grundlage verwendet: Bettwäsche aus einem Krankenhaus und aus einem bayerischen Frauenkloster. Die Bettwäsche erinnert an die Menschen, die darin gelegen haben und die Künstlerin will damit andeuten, wie wichtig es ist, dass Körper und Seele gesund werden. Der Stoff ist voller Falten und Nähte, er wurde auseinander geschnitten und mit goldenem Faden wieder zusammengenäht. Das erinnert an verletzte Haut, an Wunden, die genäht wurden und so wieder verheilt sind. Es ist damit auch die Aussage: Heilung ist möglich!

Für die Hoffnung stehen auch die Blumen aus Blattgold. Sie greifen das Muster der Kloster-Bettwäsche auf und symbolisieren die Schönheit und die Kraft neu erblühenden Lebens. Gold ist Farbe der Ewigkeit und ein Hinweis auf Gott, den Schöpfer des Lebens, der auch uns immer wieder neues Leben und Hoffnung schenkt.

Der Titel dieses Hungertuchs ist ein Vers aus Psalm 31: Du stellst meine Füße auf weiten Raum. Der Psalm ist vor etwa 2500 Jahren entstanden, wohl in der Zeit des babylonischen Exils. In ihm werden Erfahrungen von Krankheit, Einsamkeit, Unterdrückung und Verzweiflung verarbeitet. Schon damals haben die Menschen Zuflucht bei Gott gesucht und gefunden. Aus der Enge der Angst blicken sie hinaus in die Weite und schöpfen Kraft für einen Neubeginn. Da finden wir uns doch auch heute wieder mit all unseren Sorgen, Fragen und Ängsten – und können doch mit vielen Menschen weltweit, die von Corona oder anderen Krisen betroffen sind, Hoffnung schöpfen und unser Leben in die Hand nehmen.

Gerade in der Fastenzeit sind wir eingeladen, innezuhalten, umzukehren und uns für das gute Leben aller Menschen einzusetzen. Jesus hat uns dafür viele Beispiele gegeben, er ist uns Vorbild und Ansporn und Ermutiger. Ein besonderes eindrückliches Beispiel, bei dem es auch um den Fuß geht, ist die Fußwaschung. Am letzten Abend mit seinen Jüngern, seinen Freunden, wäscht er ihnen die Füße. Er macht sich zum Diener, macht sich selbst klein und schenkt ihnen mit dieser Geste Größe und zeigt die unantastbare Würde, die jedem Menschen als Ebenbild Gottes zukommt. Gleichzeitig gibt Jesus uns damit einen Auftrag: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe! Dient einander! Achtet einander!

Vertrauen wir auf die Kräfte der Heilung, auf den Mut zum Wandel und auf Gottes Geist, dann werden unsere Füße leicht und im weiten Raum werden wir den richtigen Weg finden.

Mit herzlichen Grüßen, Ihre Gemeindereferentin Ulrike Lebert

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