Der „Passionssonntag“ ist der letzte in der Fastenzeit und kommt direkt vor dem Palmsonntag. An diesem 5. Fastensonntag werden in unseren Kirchen große Kreuze (Prunkkreuze) bzw. großformatige Bilder mit der Kreuzigungsszene verhüllt. Diese Tradition ist im Mittelalter entstanden (11. - 12. Jh.), wo in der Fastenzeit ein „Hungertuch“ vor den Altar gehängt wurde. Die Triumph-Kreuze, mit Perlen und Edelsteinen geschmückt, wurden separat überdeckt. Diese liturgische „Inszenierung“ sollte Enthaltsamkeit, Reue und Sühne symbolisieren.
Es war die Reaktion auf die damalige Entwicklung, dass das Kreuz vor allem als Emblem der triumphalen Auferstehung verstanden wurde. Die Verhüllung des „erhöhten Christus“ sollte seinen Sieg ausblenden und auf seinen grausamen Tod hinweisen. Das prägte das Mitgefühl mit dem leidenden und geschundenen Jesus ein. Möglicherweise war es auch ein Ausdruck der Solidarität mit den Büßern, die vom Gottesdienst ausgeschlossen waren. Auch die Kirchenbesucher wollten auf das Ruhmreiche verzichten und wenigstens mit den Augen fasten.
Dem heutigen Brauch gemäß, werden für die Kreuzverhüllung Tücher aus einem leichten Stoff benutzt. In der Regel hat er die Farbe Violett oder Schwarz (selten Weiß), was ein Zeichen für Buße und Trauer ist. Das feine Gewebe bespannt den toten Corpus am Kruzifix wie ein Leichentuch. Es ist eine Pietätsgeste, die an das leidvolle Sterben des Herrn erinnert. Wenn das fließende Tuch eine gewisse Transparenz aufweist, wird der Blick auf den gekreuzigten Jesus nicht gänzlich versperrt. So wird das Wesentliche für unseren Glauben teilweise sichtbar.
Die Kreuzverhüllung in der Pandemie-Zeit hat eine neue Dimension erreicht. In der Öffentlichkeit verstecken wir unsere Gesichter hinter den getragenen Masken. Wir rüsten uns mit ihnen vorbeugend vor der gefährlichen Infektion, sie wirken aber auch als ein blickdichter Sichtschutz. Damit gehen wir bewusst oder unbewusst, gewollt oder ungewollt, auf Distanz zu unseren Mitmenschen. Können wir das mit dem Ereignis aus dem Leben Jesu vergleichen (Joh. 11,54), als er vor seinem Einzug in Jerusalem nicht mehr öffentlich aufgetreten ist?
Der Verzicht auf die körperliche Nähe ist coronabedingt sinnvoll und doch, er hilft uns nicht, die bestehenden Grenzen zu überwinden. Christus will unter uns alle Barrieren und Hindernisse in der ewigen Perspektive abbauen. Er möchte uns individuell erlösen und gemeinsam in das Reich Gottes begleiten. Wenn wir nur unser Leben retten wollen, wie es im Evangelium heißt (Mt. 16,25), werden wir es verlieren. Wir denken daran, dass wir als Kirche der Heiligen einen Auftrag haben. Darum wollen wir in der Fastenzeit die Opferbereitschaft Gottes bezeugen.
Gott mutet uns Neues, Unbekanntes zu. Er gebe uns die Kraft,
die Corona-Krise zu bestehen, dass wir an ihr reifen und wachsen!
Ihr Pfarrer Dr. Matthias Rusin